An den Finanzmärkten ist seit geraumer Zeit ein erstaunliches Frühlingserwachen zu beobachten. Von einem „Zinshammer“ ist die Rede, wenn eine Bank die Negativzinsen öffentlichkeitswirksam streicht und satte 2,5 Prozent aufs Tagesgeld bietet. Eine neue Epoche für Sparer habe begonnen, war gerade erst in einer überregionalen Tageszeitung zu lesen. Endlich hätten sich, so Lesart vieler Finanzjournalisten, die deutschen Sparer aus dem „Würgegriff“ der Inflation befreit. Sparen würde sich nach vielen Jahren endlich wieder lohnen.
Wer diese gute Nachricht tatsächlich glaubt, sollte einmal seinen Stift und Taschenrechner zücken. Ja, es stimmt, das Zinsniveau ist gestiegen. Und zuletzt ist die Inflation weiter gesunken. Allerdings liegen beide Werte noch weit voneinander entfernt. Und wenn eine Inflation von 8,7 Prozent auf Zinsen von 2,5 Prozent trifft, bleibt unterm Strich ein fettes Minus für Sparer. „Negative Realverzinsung“ wird dieses Phänomen genannt. Und diese Realverzinsung entwickelt sich zu einem dauerhaften Problem.
Trotzdem hoffen viele Investoren auf eine Trendwende an den Finanzmärkten. Die großen Indizes wie beispielsweise der DAX oder der Dow Jones haben sich in den letzten Wochen deutlich erholt und auch an der Tankstelle sind die Preise merklich zurückgegangen. Während ein Liter Benzin bis vor kurzem noch zwei Euro kostete, sind es aktuell mancherorts nur noch 1,50 Euro.
Grund zur Euphorie gibt es allerdings nicht – ein Blick in die Wirtschaft genügt: Die Stimmungslage unter den Wirtschaftsverbänden sei "außerordentlich negativ", hat beispielsweise Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bekräftigt. 30 von 50 Wirtschaftsverbänden gehen davon aus, dass Geschäfte und Produktion geringer ausfallen werden. Auch die Unternehmenszahlen der großen Konzerne, die an der Börse gelistet sind und in den letzten Wochen ihre Bücher geöffnet haben, sind durchwachsen.
Offenbar vertrauen selbst die Notenbanken nicht auf ihre eigenen Wirtschaftsprognosen – sie kaufen weiterhin Gold, als gäbe es kein Morgen. Der World Gold Council (WGC) hat ausgerechnet, dass im Jahr 2022 eine Gesamtmenge von 1136 Tonnen Gold von Notenbanken erworben wurde, was mehr als doppelt so hoch ist wie der durchschnittliche jährliche Kauf in den letzten zehn Jahren und den höchsten Wert seit 1967 darstellt. Ein Bericht des World Gold Council identifiziert die geopolitische Instabilität und die hohe Inflationsrate als wesentliche Faktoren für den Anstieg der Goldreserven.
Der Goldhunger der Notenbanken ist keinesfalls ein Phänomen, das auf das Konto einzelner Gold-Fans unter den Währungshütern geht. Eine große Anzahl von Staaten hat im Jahr 2022 ihre Goldreserven ausgebaut. Im Jahr 2022 war die Türkei das Land, das unter den Nationalbanken am meisten Gold kaufte. Daten, die dem Internationalen Währungsfonds vorliegen, zeigen, dass die Türkei 150 Tonnen Gold erworben hat, wovon 53 Tonnen allein in den letzten drei Monaten des Jahres gekauft wurden. China meldete Käufe im Umfang von 62 Tonnen Gold. Weitere bedeutende Teilnehmer am Goldmarkt sind derzeit die Zentralbanken von Indien, Usbekistan, Ägypten und den Golfstaaten. Allerdings melden nicht alle Zentralbanken ihre Käufe. Insbesondere gelten China, Russland und Länder des Nahen und Mittleren Ostens als diskrete Käufer, denn sie machen keine genauen oder überhaupt keine Angaben zu ihren Beständen.
Der Goldpreis hat in der Zwischenzeit eine kleine Verschnaufpause eingelegt. Dies ist auch völlig in Ordnung, denn das gelbe Metall hat in den vergangenen Wochen eine Rallye hingelegt, wie man sie schon lange nicht mehr gesehen hat. Zwischen November und Januar hat der Goldpreis rund 300 US-Dollar zugelegt. Er war zuletzt auf dem Weg zu einem neuen Allzeithoch in US-Dollar, doch die Marke von 2000 US-Dollar war vorerst eine Nummer zu groß. Aus charttechnischer Sicht ist die Konsolidierung allerdings absolut angebracht und gesund, um im weiteren Jahresverlauf das bisherige Allzeithoch anzugreifen.